Donnerstag, 3. Januar 2013

Zehn Wochen


Heute vor zehn Wochen, nämlich am Donnerstag, den 25.10.2012,
wurde L. vor unserem Haus auf offener Straße
abrupt und unangekündigt in ein fremdes Auto gesetzt und weggebracht.

Ausführende dieser Tat waren eine Mitarbeiterin des Jugendamts Rhein-Pfalz-Kreis und eine Mitarbeiterin des LuZIE (Ludwigshafener Zentrum für individuelle Erziehungshilfen).
Sie gaben an, L. zum Amtsarzt bringen zu wollen. 
Nach der Untersuchung beim Amtsarzt wurde L. in eine andere Pflegefamilie gebracht.

Bei uns, seiner sozialen Familie, hat L. gelebt, seit er acht Monate alt war und schwer krank zu uns kam. Er ist jetzt vier Jahre und neun Monate alt.

Das Jugendamt hat uns vorgeworfen, wir gefährdeten das Kindeswohl, da wir L. davor schützen wollten, sein Leben und seine Bindung an uns, seine soziale Familie, in der er aufgewachsen ist, abbrechen zu müssen.

L. hat immer wieder und ganz deutlich uns gegenüber geäußert, dass er nicht von uns weg wolle.
Diese Reaktion ist menschlich und psychologisch gesehen nur zu gut verständlich, da wir seine Hauptbezugspersonen sind.
L's Äußerungen wurden nicht ernst genommen; auch seine besondere biographische Situation wurde nicht in den Mittelpunkt gestellt.
Bevor er zu uns kam, war er monatelang im Krankenhaus, hat also auch damals nicht in seiner Herkunftsfamilie gelebt.

Nachdem L. am Abend des 25.10.2012 nicht zu uns zurückgebracht worden war, gingen wir am nächsten Morgen zuerst zur Polizei. Gegen eine vom Jugendamt ausgeführte Kindesentführung konnte die Polizei nichts tun.

Auf gerichtlichem Weg erhielten wir den Vorwurf der "massiven Kindeswohlgefährdung" (durch uns, da wir nicht wollten, dass L. aus seinem Leben gerissen würde!!!) schriftlich.

Der vom Gericht für L. bestellte Verfahrensbeistand hatte den Auftrag, mit allen Beteiligten sich in Verbindung zu setzen.
Mit uns hat er nicht ein einziges Wort gesprochen.


Ein weiteres Mal sei die Diplompsychologin Irmela Wiemann zitiert:

"Vorrang muss bei der Entscheidung einer Rückführung in erster Linie die seelisch soziale Zugehörigkeit eines Kindes haben... 
Hat das Kind seine Herkunftsfamilie schon früh verlassen und ist es primäre Bindung in einer anderen Familie eingegangen, dann ist eine Rückführung nahezu ausgeschlossen... 
Es können nur jene Kinder zurückgeführt werden, welche die Möglichkeit hatten, eine primäre Bindung zu ihren leiblichen Eltern oder einem Elternteil aufzubauen und wenn die Beziehung zu den Eltern durch Kontakte, Telefonate etc. bewahrt werden konnte... 
Ist eine Beziehung zwischen Säugling oder Kleinkind und dem Elternteil über einen längeren Zeitraum abgebrochen, dann wäre eine Rückführung nahezu ein Neuanfang, ein zweiter tiefer Bruch im Leben... 
Säuglinge dürften eigentlich nur für maximal ein halbes Jahr bei einer hohen Dichte von Kontakten fremduntergebracht werden. 
Können Eltern diese Bedingungen nicht einhalten, so müssen sie früh im Hinblick auf eine Langzeitunterbringung ihres Kindes beraten werden, um schwerwiegende seelische Verletzungen ihres Kindes zu vermeiden.  
Dies schließt nicht aus, dass die Eltern Eltern bleiben und Elternrechte innehaben, dass sie ihr Besuchsrecht wahrnehmen. 
Doch sie müssen durch Beratung ihres ASD schmerzlich lernen, ihrem Kind sein langfristiges Zuhause in der Pflegefamilie zuzubilligen... 
Soll ein Kleinkind trotz des oben genannten Vorrangs des Schutzes früher Bindungen zurückgeführt werden, obwohl es keine feste Beziehung zu seinen Eltern aufbauen konnte, so müssen diese Eltern von den Fachleuten im Jugendamt so stark in ihre Verantwortung genommen werden, dass sie weiche Übergänge für ihr Kind gestalten. 
Sie sollten mehrere Wochen lang nahezu täglich in die Pflegefamilie kommen. Das Kind sollte dann ebenso oft von den Pflegeeltern in die Wohnung der Mutter oder/und des Vaters begleitet werden, allmählich öfter und länger dort gelassen werden, wieder zurückkehren. 
Jeder abrupte Verlust schadet dem Kind für sein ganzes Leben. Nur sehr sorgfältig geplante, langsame Übergänge und die Rückführung zu verständnisvollen Eltern, die begreifen, dass sie ihrem Kind einen existentiellen Schmerz zufügen, ist bei sehr kleinen Kindern vertretbar."

L. wurde weggerissen von uns, seiner sozialen Familie, zu der er seine primäre Bindung hat.
Wir konnten uns nicht verabschieden, ihm nichts erklären.
Seit zehn Wochen hat er keinen Kontakt zu uns und zu seinem über vier Jahre  gewohnten Leben.





Foto aufgenommen im Kaiserdom Speyer








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