Herrn
Dieter Burgard
Der Bürgerbeauftragte des Landes
Rheinland-Pfalz
Kaiserstraße 32
55116 Mainz
E 2593/12 V.7.6 Hüt/es
Petition: Für Schutz und Erhalt der Bindungen unseres Pflegekindes
L., an uns, seine
soziale Familie!
Sehr geehrter Herr Burgard,
nahezu siebenhundert Menschen haben bisher diese Petition
unterschrieben; Menschen, die das Kind und uns persönlich kennen und die mit Freude
und Anteilnahme seine Entwicklung verfolgten und für die es fraglos in unsere
Familie und unser Umfeld gehörte.
Das Kind kam als schwer kranker, sozial
vernachlässigter Säugling zu uns. In seiner Herkunftsfamilie lebte es lediglich
während seiner ersten vier Lebenswochen; das war im April 2008. Dann erkrankte
es an Keuchhusten und Lungenentzündung gleichzeitig und wurde deswegen im
Diakonissenkrankenhaus Speyer behandelt. Die Schwere der Erkrankung machte eine
Verlegung auf die Intensivstation der Uniklinik Mannheim notwendig, wo das Kind von
Ende April bis Anfang Juni 2008 im künstlichen Koma lag, angeschlossen an eine
Maschine, die die Funktion seiner durch die Krankheit zerstörten Lunge ersetzte
(ECMO). Danach wurde es bis Ende August 2008 auf der Kinderstation der
Uniklinik Mannheim behandelt. Bereits in den Arztberichten dieser Zeit heißt
es, dass seine Eltern es kaum besuchten, auch als es ihm sehr schlecht ging
und es dem Sterben nahe war.
Ende August wurde es auf Wunsch der leiblichen Eltern nach Speyer ins
Diakonissenkrankenhaus verlegt, wo es weitere vier Wochen behandelt wurde und
auch dort kaum Kontakt zu den Herkunftseltern hatte.
Anfang Oktober ging
seine leibliche Mutter mit dem Kind und drei Geschwistern nach Pirmasens ins
Frauenhaus. Das Kind verbrachte diese Zeit in einem weiteren Krankenhaus, nämlich
in Pirmasens. Am 11.11.2008 wurden das Kind und seine Geschwister durch das
Jugendamt des Rhein-Pfalz-Kreises in Obhut genommen, das Kind in einem erbärmlichen
Zustand ins St. Annastiftkrankenhaus in Ludwigshafen eingeliefert, von wo wir es am 21.11.2008 abholten. Von diesem Tag an bis zum 25.10.2012 lebte das Kind mehr und mehr gesundend in unserer Familie, nach und nach verringerten sich
seine Symptome des Hospitalismus, seine Entwicklung nahm einen positiven
Verlauf, was aufgrund der Vorgeschichte die Ärzte nicht wenig erstaunte.
Dennoch ist es kein altersgemäß entwickeltes Kind.
„Für Schutz und Erhalt der
Bindungen unseres Pflegekindes L., an uns, seine soziale Familie!“ – so heißt
unsere Petition, die auch viele Menschen unterschrieben, die das Kind und uns gar
nicht kennen, die aber vom Schicksal dieses Kindes angerührt wurden, Ähnliches
erlebt hatten, sich in ihrem Rechtsstaatempfinden gekränkt fühlten oder keinem
Kind einen solchen Lebensbruch wünschen, geschweige denn einem, das bereits
unverwurzelte erste Lebensmonate erleben musste, dann über Jahre Fuß fasste,
Ängstlichkeit überwand, Lebensvertrauen entwickelte und ein fröhliches Mitglied
unserer Familie, des Freundeskreises und der Nachbarschaft wurde.
Eine Frau, die durch unsere
Veröffentlichung im Internet auf die Geschichte aufmerksam geworden war,
schilderte uns anonym ihr eigenes Schicksal als gezwungenermaßen rückgeführtes
Kind. Auch sie hatte ihre eigentliche Lebensbindung zu ihrer Pflegemutter
gefunden, litt eine schreckliche Kindheit lang unter dem Abbruch der Beziehung
und konnte erst mit ihrer Volljährigkeit zu ihrer Pflegemutter zurückkehren,
was ihr, wie sie schreibt, das Leben rettete.
Wir begleiten seit 1999
Pflegekinder auf ihren verschiedensten Wegen; wir sind Pädagogen von Beruf,
haben jede eigene leibliche Kinder großgezogen; wir haben vier Jahre und davon
unzählige wache Nächte mit dem Kind verbracht und dürfen mit Recht sagen, dass wir es am besten kennen und dass wir alles dafür getan haben, um ihm einen Abbruch
seines Lebens hier bei uns zu ersparen.
Dennoch befanden – aus
Gründen, die uns bis heute nicht bekannt sind oder genannt wurden – das
Jugendamt Rhein-Pfalz-Kreis und das LuZIE, besser einschätzen zu können, dass
es dem Wohl dieses Kindes entspreche, von uns, seiner sozialen Familie
gewaltsam weggebracht zu werden.
Eine Mitarbeiterin des
Jugendamtes Bad Dürkheim bestätigte uns, dass eine solche „Inobhutnahme“, wie
sie dem Kind am 25.10.2012 geschehen ist, nur dann gerechtfertigt ist, wenn Gefahr
für das Leben des Kindes oder Fluchtgefahr besteht; das heißt, wenn zu
befürchten ist, dass dem Kind ohne den sofortigen Zugriff des Jugendamtes
Gewalt angetan wird oder die Bezugsperson mit dem Kind untertaucht.
Nichts davon war in diesem
Fall gegeben, und wir verurteilen nach wie vor auf das Schärfste diese
Vorgehensweise, bei der das Kind unter Vorgabe, zu einem Amtsarzt gebracht zu
werden, auf der Straße in ein fremdes Auto gesetzt wurde. Eine Nachbarin, die
ihren Hund ausführte sowie ein junger Mann, der vorbeikam, beobachteten die
grausame Szene, die an eine Deportation erinnert. Verbal aggressiv wurde –
hörbar für das weinende Kind – gedroht, dass man im Falle unseres Widerstandes
„das große Besteck“ holen würde, ein uns bis dahin unbekannter Ausdruck, der
bedeutete, die Polizei zu rufen.
Fragen Sie die Ärztin, Dr. med. Christel Petzschke in
Ludwigshafen-Pfingstweide, bei der das Kind in Begleitung
zweier ihm fremder Personen untersucht wurde, fragen Sie die
Sprechstundenhilfen dort, fragen Sie die Pflegefamilie, in die es am Abend des 25.10.2012
verbracht wurde, wie sehr es geweint hat, wie sehr es gelitten hat unter der
unbegreiflichen Situation!
Fragen Sie das Jugendamt
des Rhein-Pfalz-Kreises, warum es nicht wenigstens gleich zu seinen leiblichen
Eltern gebracht wurde! Laut Aussagen der Mitarbeiterinnen hatte es bereits ein
so gutes Verhältnis zu seinen leiblichen Eltern. Warum musste es dann acht
Wochen lang bis zum 21.12.2012 in einer ganz fremden Familie leben?
Am 1.10.2012, als die
forcierte Rückführungsaktion angelaufen war und das Kind plötzlich acht Stunden in
fremder Umgebung bei seinen leiblichen Eltern verbringen musste, kam es von
dort völlig verweint zurück. Es hatte dort nicht Wasser lassen wollen und
musste dringend Pipi, was alles dafür spricht, wie wenig vertraut es dort war.
Am 5.10.2012 fand eine
MRT-Untersuchung im St. Annstiftkrankenhaus in Ludwigshafen statt. Folgendes
schreibt der aufnehmende Arzt im Bericht:
„Auf Grund der Bemühungen L.'s leiblicher Eltern,
ihren Sohn zurück zu bekommen, war von seiten der betreuenden Einrichtung (=
LuZIE) deren Präsenz bei Aufnahme und anschließender
Befundbesprechung erwünscht.
Bei Aufnahme zeigte sich L. bei Hinzukommen der
leiblichen Eltern deutlich verängstigt und panisch.
Er klammerte sich im Folgenden andauernd an seine
Pflegemutter und ließ sich nicht mehr beruhigen.
Daher wurde das Aufnahmegespräch vorzeitig beendet.
Wir teilten dieses Verhalten und unsere Bedenken
gegenüber einer erneuten Konfrontation der zuständigen Mitarbeiterin des
Jugendamtes mit. Es wurde hierauf vereinbart, dass bei der Befundmitteilung auf
L.'s Anwesenheit verzichtet wird."
Spätestens hier hätte eine
professionelle Handhabe die korrigierte Stellungnahme an das Oberlandesgericht
erfordert.
Die Rechtsanwältin und
Mediatorin Sigrid Pruss beschreibt es
so:
"Die Rückführung des
Kindes aus der Pflegefamilie in die Herkunftsfamilie ist in der zentralen
Vorschrift des § 1632 Abs. 4 BGB geregelt. Diese Vorschrift ist mithin
eine Schutzvorschrift für Pflegekinder, die sich in Dauerpflege befinden und
die in ihrer Entwicklung unter Umständen deshalb gefährdet werden könnten, weil
ihre Eltern sie aus der Pflegefamilie herausnehmen wollen. Nach dem Zweck
dieser Vorschrift sollen Pflegekinder geschützt werden, die seit
längerer Zeit in einer Pflegefamilie sind. Der
Zeitbegriff ist insoweit nicht absolut zu verstehen, sondern
kinderpsychologisch, das heißt, es gilt ein relativer, an der
Erlebnisverarbeitung von Kindern orientierter Zeitbegriff. Es kommt
darauf an, ob die Pflegezeit dazu geführt hat, dass das Kind seine Bezugswelt
in der Pflegefamilie gefunden hat und deshalb die Herausnahme zu diesem
Zeitpunkt die Gefahr schwerwiegender psychischer Schäden mit sich
brächte. Das Kind muss mithin eine tragfähige Beziehung in der
Pflegefamilie entwickelt haben. Maßgeblich ist, dass das kindliche
Zeitempfinden an die Möglichkeit und Geschwindigkeit von Bedürfnisbefriedigung
gebunden ist, die das Kind als notwendig und zufriedenstellend empfindet...
Bei einem älteren Kind kann eine Herausnahme nach sechs Monaten möglich sein, während für ein einjähriges Kind sechs Monate sehr lang sein können. Die Rechtsprechung ist in diesen Zeitabschnitten sehr unterschiedlich gelagert. 18 Monate sind jedoch eine lange Zeit, wenn das Kind die ganze Zeit bei Pflegeeltern verbracht hat, vgl. Ffm FamRZ 04, 720." (http://www.berliner-kanzleien.com)
Bei einem älteren Kind kann eine Herausnahme nach sechs Monaten möglich sein, während für ein einjähriges Kind sechs Monate sehr lang sein können. Die Rechtsprechung ist in diesen Zeitabschnitten sehr unterschiedlich gelagert. 18 Monate sind jedoch eine lange Zeit, wenn das Kind die ganze Zeit bei Pflegeeltern verbracht hat, vgl. Ffm FamRZ 04, 720." (http://www.berliner-kanzleien.com)
Es gibt sehr viele ungeklärte
Fragen in dieser Angelegenheit, auf die das Jugendamt bzw. die Darstellung des
LuZIE vom 25.01.2012 überhaupt nicht eingeht, die aber unserem Schreiben vom
10.1.2012 zu entnehmen sind und die wir nicht alle wiederholen möchten. Die
Stellungnahme der Mitarbeiterin des LuZIE spiegelt exakt den Verlauf der
gesamten Angelegenheit wieder, nämlich das Nichtwahrnehmenwollen vorliegender
Tatsachen, selbst wenn sie, wie in unserem Brief vom 10.1.2012, schriftlich
vorliegen.
Das Kind weist als „Fall“ für das Jugendamt mehr als
ausreichend Kriterien auf, die gerade bei ihm eine Rückführung ausschließen; so
hatte das Jugendamt Rhein-Pfalz-Kreis bereits argumentiert in der Zeit, bevor
durch Umstrukturierung der Pflegekinderdienst vom LuZIE übernommen wurde. Die
besondere Vorgeschichte, das Alter des Kindes bei der Unterbringung in der
Pflegefamilie, die für ein Kleinkind besonders lange Zeit des
Pflegeverhälnisses wurden schlichtweg ignoriert. Ein Plan wurde erstellt, in
den das Kind passen und dem wir als Pflegefamilie uns gegen unser besseres
Wissen unterordnen sollten. Dafür, dass wir uns auflehnten gegen den Plan,
wurde das Kind mit einem zweiten Abbruch – gravierender noch als sein erster, da
über vier Jahre gewachsen – seiner Eingebundenheit bestraft.
„Für Schutz und Erhalt der Bindungen unseres Pflegekindes L., an uns,
seine soziale Familie!“ – so heißt unsere Petition, die wir am 2.12.2012
gestartet haben.
Seit dem
25.10.2012 hat das Kind keinen Kontakt zu uns. Eine freundliche schriftliche Anfrage bei seinen leiblichen Eltern durch
unsere Anwältin, uns doch eine Möglichkeit der Kontaktaufnahme zu nennen,
erhielt keine Antwort. Päckchen, die wir ihm zu seinem Geburtstag und zu Ostern
schickten, kamen ungeöffnet zurück.
Ein Kind ist kein Besitz, auch nicht der Besitz seiner leiblichen
Eltern!
Wir wollen, dass durch eine neutrale Person – nicht Jugendamt, nicht
Verfahrensbeistand – das Kindeswohl überprüft wird und dem Kind Gelegenheit
gegeben wird, mit uns, seiner sozialen Familie, Kontakt zu haben und es dadurch
die Brücken zu seiner abgerissenen Vergangenheit wieder schlagen kann.
Die Anzahl der Menschen, die sich in diesem Sinn mit dem Kind, mit uns und
der Petition verbunden fühlen, ist um vieles größer als die der wenigen
Personen, die in dieser Angelegenheit meinten, zu lebenswichtigen
Entscheidungen über das Leben dieses Kindes berechtigt zu sein.
Mit freundlichen Grüßen
Stefanie Rabenschlag
Edeltraud Trautnitz
Lambrecht, 24.04.2013
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