Kind,
heute vor sieben Monaten bist du aufgewacht in einem fremden Bett.
Zum ersten Mal nach vier Jahren.
Am Abend zuvor, dem 25.10.2012, hatten dich die Mitarbeiterinnen des Jugendamtes nicht mehr nach Hause gebracht.
Ich bin dir nachgefahren, Kind,
habe das Auto aus den Augen verloren auf der Autobahn,
wusste aber, dass ich das Gesundheitsamt in Ludwigshafen suchen musste.
Ich fragte einen jungen Mann in einer Videothek,
der mir den Weg zeigte.
Beim Gesundheitsamt warst du gar nicht.
Doch die Ärztin dort war sehr hilfsbereit
und druckte mir eine Karte aus zur Kinderarztpraxis,
wo du untersucht wurdest.
Noch ein weiteres Mal half mir ein junger Mann,
den ich dort in Pfingstweide nach dem Weg fragte.
Ich fand die Praxis, ging hinein, man hieß mich zu warten.
Dann bat mich die Ärztin zur Besprechung.
Währenddessen schaffte man dich fort.
Heute vor sieben Monaten bist du in einem fremden Bett aufgewacht.
Zwischengelagert in einer Bereitschaftspflegefamilie.
Warum?
Wäre das Experiment, dich zu deiner Herkunftsfamilie zu bringen,
sonst gleich misslungen?
Man hat dich in ein Vakuum gesteckt.
Wir, deine vertraute soziale Familie, waren abgeschnitten von dir.
Die neue Bereitschaftspflegefamilie kanntest du nicht.
Das bisschen Vertrauen zu deiner Herkunftsfamilie sollte dazu dienen,
deine leidende Seele wenigstens mit Bekanntem zu befriedigen.
Aus deiner Not hat man dann formuliert,
du wünschtest dir, zu deiner Herkunftsfamilie zu kommen.
So einfach geht das, Kind.
In Deutschland.
2012.
*
Am 22. Mai schreibt uns der Bürgerbeauftragte des Landes Rheinland-Pfalz, Herr Dieter Burgard:
Sehr geehrte Frau Rabenschlag,
ich danke für Ihre E-Mail vom 08.05.2013 sowie Ihre Mitteilung,
dass die Herkunftsfamilie Ihres Pflegekindes zwischenzeitlich nach Bayern verzogen ist.
Dies hat zur Folge, dass die Zuständigkeit einer Verwaltung des Landes Rheinland-Pfalz,
bei der ich mich für Sie einsetzten könnte,
nicht mehr gegeben ist.
Vor diesem Hintergrund schlage ich vor,
den Vorgang bei mir abzuschließen
und unterstelle Ihr Einverständnis,
wenn ich innerhalb der nächsten zwei Wochen keine gegenteilige Nachricht von Ihnen erhalte.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Dieter Burgard
*
So einfach geht das.
In Deutschland.
2013.
*